Lern- und Entwicklungsziele
Unser Bildungsauftrag unterscheidet sich von demjenigen der Schule vor allem dadurch,
dass es in unserem Kindergarten durchwegs um ein implizites Lernen geht, das sich ohne Reflexion unmittelbar aus dem Wahrnehmen der Umwelt und dem Mitvollzug ihrer Aktivitäten ergibt. Rückhaltlose Hingabe an die sinnlichen Eindrücke und tätiges sich Verbinden mit der Welt liegen in der Natur des kleinen Kindes. Diese Eigenart ist die Grundlage seiner Selbstbildung und bedeutet, dass alles Lernen in diesem Alter ein ganzheitlicher und komplexer Vorgang ist.
Die einzelnen Bildungsbereiche treten in der Realität nie isoliert auf und können auch nicht isoliert gefördert werden, sondern sie überschneiden und mischen sich vielfältig.
Das freie Spiel als Entwicklungsfördernde Aktivität
Spiel ist für kleine Kinder Arbeit, mit der sie sich die Welt zu eigen machen. Deshalb wird dem Spiel bei uns im Waldorfkindergarten große Aufmerksamkeit gewidmet. Durch das freie Spiel werden einerseits sämtliche Lebenskompetenzen wie z.B. die Fantasie- und Kreativitätskompetenz grundlegend geübt.
Vielfältigste motorische und sensorische Fähigkeiten bis hin zu umfassenden Welterfahrungen und sozialen Lernmöglichkeiten werden erprobt. Andererseits bietet das freie Spiel eine hervorragende Grundlage für die Entfaltung und Verwirklichung der kindlichen Individualität.
Das freie Spiel, wie es hier gemeint ist, sollte unbeeinflusst von lehrhaften und reflektierenden Eingriffen der Erwachsenen bleiben und sollte auch von Seiten des Spielmaterials möglichst wenig vorbestimmt sein, damit das Kind, getaucht in die schöpferische Phantasie des Augenblicks, den Dingen der Welt von innen heraus ihre Bedeutung geben kann. Unser Spielzeug ist fantasieanregend und freilassend gestaltet. Naturmaterialien wie Hölzer, Steine, Muscheln, Tannenzapfen, Kastanien oder Wolle sprechen alle Sinne an und diese unterschiedlichsten Eigenschaften der Materialien fördern die Sinnes- und Wahrnehmungskompetenz.
Bewegungserziehung und -förderung
Kinder sind eigentlich immer in Bewegung; sie sind aktiv mit dem ganzen Körper und allen Sinnen; denn nur so können sie die Welt kennen lernen. Jede Tätigkeit, sei sie motorischer oder sensorischer Art, schlägt sich bei Kindern in neurologischen Strukturen nieder. Fortwährende Bewegung stärkt die Fähigkeiten der Leibesbeherrschung und legt damit die wichtigsten Grundlagen für ein positives Körpergefühl, für gesunde Leibesbeherrschung und für eine ausdrucksstarke Seelenfähigkeit. Welt- und Selbsterfahrung erhalten hier ihr Fundament. Für die gesunde Leibes- und Bewegungsentwicklung brauchen die Kinder genügend Bewegungsraum und Zeit zum ungestörten Üben. Zu Beachten ist, dass nur eine sinnvolle, zielgerichtete Bewegung bildenden Wert für die Entwicklung des Kindes hat. Beim Laufen, Klettern, Springen, Seilhüpfen; im rhythmisch-musikalischen Tätigsein im Reigen oder beim Spielen der Kinderharfe; im handwerklichen Schaffen an der Werkbank sowie bei Spiel und Arbeit in Küche und Garten bilden sich Körperwahrnehmung und -gefühl.
Sprachliche Bildung und -förderung
Denken und Sprechen sind eng miteinander verbunden. Nur mit der Sprache können wir das Gedachte ausdrücken, unsere Gefühle zum Ausdruck bringen, allen Dingen in der Welt einen Namen geben und miteinander ins Gespräch kommen. Kinder lernen sprechen in einer sprechenden Umgebung. Dabei kommt es in erster Linie auf das menschliche Beziehungsverhältnis zwischen Sprechendem und Hörendem an. Das sprachliche und seelisch warme Verhältnis zwischen Kind und Erwachsenem bildet den Nährboden für eine gute und differenzierte Sprechweise. Gute sprachliche Vorbilder, eine der jeweiligen Altersstufe angemessene bildhafte Sprache und ein ausgewogenes Verhältnis von Sprechen und Zuhören fördert die Sprech- und später auch die Lesefähigkeit und -freude.
In Liedern, rhythmischen Versen und Reimen, in Finger- und Schoßspielen sowie dem täglich wiederholenden Benennen von Gegenständen und Menschen und dem Erzählen sinnvoller Märchen und Geschichten schaffen wir Raum für die Kinder, sich in der Sprache zu beheimaten.
Emotionale und soziale Bildung und -förderung
Bildungsfähigkeit, Verlässlichkeit, Sozialfähigkeit gehören zu den wichtigsten Grundwerten des Menschseins. Sozialfähig wird man, wenn man über ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein und Sicherheit verfügt.
Weiß sich das Kind in seinem Sein und Können anerkannt, entstehen Schaffenskraft, Mut und Selbstvertrauen, Initiativkraft und Lust etwas zu wagen. Das Kind kann sinnvoll auf Anforderungen reagieren und Schwierigkeiten meistern. Ein solches Kind kann aber in Konfliktsituationen auch nachgeben und anderen verzeihen, es kann warten, bis es an der Reihe ist, kann verzichten, verlieren und verstehen. Demokratische Tugenden werden hier veranlagt. Dies geschieht im Kindergartenalltag durch gegenseitiges Helfen und Aufgaben übernehmen wie spülen oder Blumen gießen, Hören von sinnvollen Geschichten; Rollenspiele wie Vater-Mutter-Kind, Feuerwehr, Krankenhaus, Kaufladen; geben, nehmen und teilen lernen; die Mitarbeit der Eltern im Kindergarten erleben, z. B. beim Reparieren von Spielzeug, bei Festen und Feiern; Üben von Konfliktlösungen, z.B. sich entschuldigen lernen.
Ethisch-moralische Wertekompetenz
Die ethisch-moralische Erziehung ist ganz bewusst im Konzept der Waldorfpädagogik verankert. Ein Gefühl für das Gute, Schöne und Wahre wird ebenso veranlagt wie die Achtung vor anderen Menschen, Kulturen, Religionen und der Schöpfung.
Umgesetzt wird dies durch Orientierung gebende Geschichten, Feste vorbereiten und feiern, liebevoller Umgang mit der Natur, praktizierte Nächstenliebe, Dankbarkeit (Tischspruch vor dem Essen) und Hilfsbereitschaft, multikulturelle Besonderheiten achten; Bräuche anderer Völker kennen lernen – deren Lieder singen und Geschichten hören.
Rhythmisch-musikalisch-künstlerische und handwerkliche Bildung
Rhythmisch-musikalisch-künstlerische Elemente durchziehen den Tagesablauf im Waldorfkindergarten. Der Rhythmus verbindet Sprache, Musik und Bewegung, er übt eine ordnende und stabilisierende Wirkung aus, sowohl auf die leibliche wie auch auf die seelisch-geistige Organisation des Kindes. Die Musik führt zu seelischer Harmonie und Ausgeglichenheit, fördert die kognitive Entwicklung, Bewegungsfreude und Vitalität, stärkt die Lebenssicherheit und festigt die Persönlichkeit. Durch das Aufeinander-Hören und sich aufeinander Einstimmen wird der soziale Zusammenhang gestärkt und es entsteht eine integrierende Gemeinsamkeit. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass gemeinsames Musizieren nicht nur die Musikalität fördert, sondern auch die Sozialfähigkeit steigert.
Das künstlerische Arbeiten mit verschiedenen Materialien wie z.B. Aquarell- oder Wachsfarbenmalen, Bienenwachskneten sowie an der Werkbank mit verschiedenen Materialien und Handwerkszeugen regt die Eigenaktivität der Kinder an, fördert die Motivations- und Konzentrationskompetenz und bietet vielfältige grob- und feinmotorische Übungen und Betätigungen.
Mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung und -förderung
Das langsame Erwachen des Bewusstseins für die Qualitäten von Raum und Zeit, von Menge, Zahl und geometrisch-mathematischen Gesetzmäßigkeiten ist beim Kind eng mit seiner leiblichen Entwicklung verbunden. Deswegen muss die gesunde Bildung und Ausreifung der Sinnesorgane und -funktionen sowie des
Bewegungsorganismus vorrangiges Ziel der Elementarpädagogik sein. Handelnd lernen die Kinder die Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten ihrer Umwelt kennen. Im Schaukeln, Seilspringen, Karussell fahren, Wippen, Rutschen werden Schwung, Auftrieb, Schwerkraft, Fliehkraft, Reibung usw. leiblich erfahren und im Spiel nachvollzogen, indem die Kinder z.B. Kastanien auf schief gelegten Brettern herunterrollen lassen, oder indem Murmelbahnen, Brücken und Türme gebaut werden. Hebelgesetze, Statik, Balance werden dabei erprobt. In der Eurythmie und im Reigen werden geometrische Formen wie Kreis und Mittelpunkt, Oval, Gerade, Spirale, Innen/Außen, Oben/Unten, Rechts/Links durch die eigenen körperlichen Bewegungen unbewusst erlebt. Räumliche Vorstellungskraft und das Gefühl für Proportionen schulen sich daran. Die Zusammenhänge, die das Kind im Spiel, im Experimentieren mit dem Material und durch den Einsatz mit seinem ganzen Körper erlebt, verdichten sich zu einer noch unbewussten körperlich-kinästhetischen Intelligenz, und diese bildet die Grundlage für das exakte mathematisch-naturwissenschaftliche Denken und Verstehen im späteren Leben.
Medienkompetenz
Eine wirkliche Medienkompetenz entsteht nicht durch Mediennutzung in der frühen Kindheit, sondern durch den Erwerb ganz anderer Kompetenzen, die vorausgehen müssen.
Die wichtigste und grundlegendste von ihnen ist die vollständige Ausbildung der motorischen und sensorischen Fähigkeiten, durch die das Gehirn des Kindes erst seine volle Leistungsfähigkeit erlangt und der Organismus die nötige Stabilität gewinnt, um sich gesund entwickeln zu können.
So sehr Waldorfpädagogik Wert darauf legt, in der Schule Medienkunde und Computerunterricht stattfinden zu lassen, so entschieden lehnt sie es ab, elektronische Medien im Kindergarten als pädagogisches Mittel einzusetzen – nicht aus Medienfeindlichkeit, sondern im Gegenteil um die spätere Medienkompetenz in bestmöglicher Weise Wirklichkeit werden zu lassen.
AUTONOMIE
Im Kindergartenalter wird Autonomie primär durch die Erfahrung Selbstwirksamkeit, Gestaltungsfähigkeit und Selbstkompetenz gefördert. Auf die Entwicklung eben dieser Kompetenzen richtet sich die Pädagogik unsers Kindergartens.
Gestalten wir dem Kind sein Umfeld möglichst sinnhaft, handhabbar und verstehbar, kann es seine Umgebung begreifen und bringt Tätigkeiten in einen logischen Zusammenhang. Durch unmittelbaren tätigen Umgang mit der Umwelt entstehen Primärerfahrungen aller Art und Selbstbildungsprozesse werden gefördert.
Aus dem Bewußtsein seines Autonomie entwickelt das Kind das Bedürfnis, sich mit
seiner Persönlichkeit in der Gemeinschaft einzubringen und dabei ernst genommen zu werden.
Unsere Kolleginnen sind darin geschult, die Kinder möglichst eigenständig unter Berücksichtigung der Selbstwirksamkeit sich und ihre Umwelt entdecken zu lassen und sie dabei zu begleiten.
PARTIZIPATION
Kinder haben das Recht, an allen sie betreffenden Entscheidungen entsprechend ihrem Entwicklungsstand beteiligt zu werden. Wir begegnen jedem Kind mit Achtung und Respekt gegenüber. Der pädagogische Ansatz von Vorbild und freier Nachahmung ermöglicht es den Kindern, sich auf ihre ganz individuelle Art und Geschwindigkeit in den Alltag einzubringen. Eine genaue und gezielte Beobachtung und Dokumentation der Kinder, ihres Verhaltens und ihrer Bedürfnisse, Kompetenzen und Entwicklung ist für uns grundlegend, um mit unserem Angebot den Kindern gerecht zu werden. Die jeweiligen Angebote sind somit auf die Kinder abgestimmt, es wird auf ihre Signale geachtet. Wo immer es möglich ist, wird den Kindern die Möglichkeit gegeben, sich aktiv in das Geschehen einzubringen.
Zur Partizipation gehört bei uns außerdem der intensive Dialog mit den Kindern, indem sich jeder als gleichberechtigter Gesprächspartner erleben kann.
SCHUTZ DES KINDES
Beschwerden von Seiten der Kinder kommen in der Regel aus einer bestimmten Situation heraus und äußern sich sehr individuell. Hier kommt der Aufmerksamkeit der Erzieherin größte Bedeutung zu. Die Pädagoginnen tragen dafür Sorge, dass sie eine Wahrnehmung jedes einzelnen Kindes hat und dieses auch eine Möglichkeit hat, sich zu äußern.
Regelmäßige Kinderkonferenzen und Kinderbesprechungen, in denen die Kolleginnen ausführlich die körperlichen, seelischen und geistig-kognitiven Aspekte der Entwicklung und des Wesens eines einzelnen Kindes besprechen und bewegen, sind ein weiteres Instrument, um über die Befindlichkeit und die individuellen Bedürfnisse eines Kindes ein Bewusstsein zu haben.
Regelmäßig stattfindende Entwicklungs- und Elterngespräche dienen der gegenseitigen Wahrnehmung und dem Austausch über die Persönlichkeit, die Entwicklung, die Situation des Kindes in Kindergarten und Elternhaus. Bedürfnisse und evtl. Nöte, die das Kind formuliert, können hier besprochen werden.